Offene Grenzen und der Wohlstand der Nationendrucken

Vom ökonomischen Standpunkt aus betrachtet, gibt es kaum ein Argument gegen eine Politik der offenen Grenzen. Je größer der Raum, in dem produziert und Handel getrieben wird, desto besser. Reisefreizügigkeit belebt den Arbeitsmarkt und begünstigt die Arbeitsteilung. Größere Arbeitsteilung – ob innerhalb eines Staates oder auch grenzüberschreitend – führt lehrbuchartig zu einem Wachstum der Produktion und damit zu steigendem Wohlstand. Darüber hinaus wird für Gesellschaften mit schrumpfender Bevölkerung zunehmend das Problem des Arbeitskräftemangels virulent, dem durch Zuwanderung begegnet werden soll, wie vielfach gefordert wird. Rein ökonomisch argumentierende Freihandelsbefürworter treffen sich in der Frage der Personenfreizügigkeit mit linken Politikern und NGOs. Die Letzteren reden – getreu ihrer Vorstellung, wonach alle Menschen gleich wären und außerdem jedermann Anspruch auf den von anderen erwirtschafteten Wohlstand hätte – einer ungebremsten Migration das Wort. Ungeachtet der Herkunft und Qualifikation der Zuwanderer.
In einem kürzlich auf der Seite des liberalen US-Mises-Instituts veröffentlichten Essay des Ökonomen und Politikwissenschaftlers Ryan McMaken stellt der Autor fest, dass die Beurteilung der Frage der Migration aus rein ökonomischer Perspektive deutlich zu kurz greift.
Insbesondere für kleine Länder, so seine Analyse, kann eine Politik der offenen Grenzen nachteilige oder gar fatale Konsequenzen haben. Als Beispiele führt er u. a. Lettland/Russland, Botswana/Simbabwe und Vietnam/China an. Nachdem es in jedem der Beispiele ein starkes Einkommens- und Wohlstandgefälle zwischen den genannten Nationen gibt, sind – offene Grenzen vorausgesetzt – massive Wanderungsbewegungen zu erwarten. Im Falle Lettlands mit seinen rund 1,8 Millionen Einwohnern, würde bereits die Migration von nur eineinhalb Prozent der 144 Millionen starken Population Russlands (das mit 12.246 $ BIP/Kopf eine nur etwa halb so hohe persönliche Wirtschaftsleistung wie Lettland aufweist), die autochthone Bevölkerung im eigenen Land in eine Minderheitenposition drängen. Auch wenn sich dieser Prozess über mehrere Jahre erstrecken sollte, ist es keine Frage, dass damit massive (geo-)politische Konsequenzen für das kleinere Land verbunden wären, die keineswegs wünschenswert ausfallen müssen.
Auch im dünn besiedelten, verhältnismäßig wohlhabenden Botswana, würde eine Massenimmigration aus dem bettelarmen Simbabwe die Bevölkerungsstruktur massiv verändern – mit allen damit verbundenen, vermutlich mehrheitlich negativen Konsequenzen. Die demographischen Veränderungen könnten es in den genannten Fällen mit sich bringen, dass sich die von liberaler Seite postulierte Wohlstandsmehrung durch offene Grenzen, infolge massiv zunehmender ethnischer Konflikte ins Gegenteil verkehrt.
Wo eine autochthone Bevölkerung ihre kulturelle Eigenart und ihre Eigentumsverhältnisse durch eine ungebremste Massenimmigration bedroht sieht, kann eine praktisch auftretende Vielzahl von Problemen die erwarteten ökonomischen Vorteile offener Grenzen am Ende überwiegen.
Der österreichische Ökonom und Sozialphilosoph Ludwig Mises hat bereits vor rund hundert Jahren – damals allerdings mit Blick auf das dünn besiedelte Australien – vor einer Überfremdung des Landes infolge einer ungebremsten Masseneinwanderung aus China, Japan und Malaysien gewarnt.
Grundsätzlich ist für jedes einzelne Land die Frage zu beantworten, ob Immigration der aufnehmenden Bevölkerung Vorteile bringt oder nicht. Ist das nicht der Fall, hat das Zielland jedes Recht, die Zuwanderung zu bremsen oder ganz zu unterbinden. Ryan McMaken resümiert im zitierten Essay, dass offene Grenzen auf längere Sicht die Tendenz aufweisen, neue politische Verhältnisse zu schaffen, die oft gegen die Interessen derselben Menschen instrumentalisiert werden, die durch ihren Einsatz für offene Grenzen und freie Migration das Wirtschaftswachstum und die Eigentumsrechte stärken wollten.
Ein Recht von Migranten auf eine Teilhabe am Eigentum fremder Menschen im Zuwanderungsland kann es jedenfalls nicht geben. Daher tun insbesondere kleine Länder gut daran, die Zuwanderung zu steuern und sorgsam auf die Herkunft und Qualifikation der Migranten zu achten. Vorteile zieht das Zielland aus der Einwanderung nämlich nur dann, wenn qualifizierte, auf dem Arbeitsmarkt gesuchte Menschen kommen – im besten Fall aus einem vergleichbaren Kulturraum.
Gegenwärtig ist leider das Gegenteil der Fall, da wir es in Europa nicht mit einer Migration in die Arbeitsmärkte, sondern mit einem Sturm auf die Sozialsysteme zu tun haben. Da diese aufgrund der negativen Bevölkerungsentwicklung ohnehin bereits zunehmend unter Finanzierungsdruck stehen, ist Gefahr im Verzug. Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Es ist hoch an der Zeit, dass die EU sich nicht länger mit Orchideenthemen wie „Gendergerechtigkeit“ oder der Normung von Verschlüssen für Kunststoffflaschen befasst, sondern sich echten Herausforderungen zuwendet – wie etwa die Massenzuwanderung eine darstellt.
Bereits im September 2021 haben ich mich an dieser Stelle mit der Masseneinwanderung nach Europa auseinandergesetzt: Einwanderung in Geschichte und Gegenwart.
Andreas Tögel
Diese Beitrag erschien zuerst bei Andreas-unterberger am 19. Januar 2024

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